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Kratzen, wo es juckt
Ein Gespräch mit Georg C. F. Greve über die Free Software-Bewegung in
Europa.
Von Peter Felixberger
Freie Software für alle! Optimal und individuell angepasst an die
einzelnen Bedürfnisse. Dagegen sind Monopolisten wie Microsoft mit
ihren standardisierten Massenprodukten nicht mehr zeitgemäß, weil sie
nur an sich selbst denken. Sie handeln überdies äußerst unklug. Denn
es ist nur eine Frage der Zeit, bis die neuen Spielregeln der Free
Software-Bewegung genügend Anhänger gefunden haben. Was hinter Free
Software steckt und ob es ein Leben jenseits von Microsoft Word gibt,
erläutert ein echter Szene-Kenner.
[945_grewe.jpg] Der 29-jährige Georg C. F. Greve ist Präsident der
Free Software Foundation Europe. Er lebt und arbeitet ehrenamtlich in
Hamburg. Seit 1999 publiziert er die Kolumne "Brave GNU World", das
monatlich in Deutsch, Englisch, Französisch, Japanisch, Spanisch und
Koreanisch erscheint. Peter Felixberger traf den umtriebigen
Aktivisten auf der DGB-Bildungstagung "Internet und Ökonomie" in
Hattingen.
Herr Greve, Sie fordern Freiheit für jede Software. Worin besteht
diese Freiheit konkret? Microsoft-Programme für alle?
Es geht um vier Freiheiten. Erstens die unbegrenzte Nutzung zu jedem
Zweck, dann die Freiheit des Studiums, die Freiheit der Modifikation
oder des Veränderndürfens und schließlich die Freiheit der Weitergabe.
Bei Freier Software kann ich das alles tun, muss es aber nicht, wenn
ich nicht will. Das bedeutet, dass, wenn ich eine Software weitergeben
will, ich nicht gezwungen bin, das umsonst zu tun. Freie Software ist
auch kommerziell und kann sogar verkauft werden. Wir wollen bewusst
auch ein kommerzielles Leben mit Software fördern. Wenngleich es nicht
der wichtigste Aspekt ist.
Bill Gates ist demnach der Erfinder der unfreien Software. Er schafft
eine Originalversion, die Kopie verkauft er mannigfach. Was ihn zum
reichsten Mann der Welt gemacht hat. Ein gigantisches Monopol, das uns
überdies ärmer macht, nicht nur finanziell, sondern auch, was die
kreative Vielfalt betrifft. Word oder stirb?
Man muss sich ein bisschen von der Frage lösen, es ginge um Microsoft
versus Freie Software. Microsoft hat das System der unfreien oder
proprietären Software am erfolgreichsten benutzt, was zu einem
globalen Monopol führte. Dahinter aber steht ein allgemeines Prinzip:
Proprietäre Software funktioniert zumeist gewollt nur reibungslos mit
sich selbst. Damit zwingt ein Benutzer proprietärer Software andere
dazu, dieselbe Software einzusetzen.
Microsoft war überdies sehr geschickt, Konkurrenten aufzukaufen oder
vom Markt zu drängen. Das Außen wurde sozusagen systematisch
geschwächt. Dabei ist der Name Microsoft egal. Wenn nicht sie, wären
es andere gewesen. Microsoft ist keineswegs die Wurzel allen Übels.
Das System der proprietären Software hat immer die Tendenz zur
Monopolisierung.
Konkret: Gibt es überhaupt noch eine Alternative zu Word?
Richard M. Stallman begann in den 80ern ein freies System namens GNU
zu schreiben. Linus Torvalds hat dann 1991 den Linux-Kernel
hinzugefügt. Auf dieser Basis wurden seither viele Programme
geschrieben. Dazu gehören auch mehrere Office-Pakete. Eines ist
OpenOffice.org, das ehemalige Star Office, das von SUN aufgekauft
wurde und als freies Office-Paket herausgegeben wird. Dieses
Office-Paket kann Word-Dokumente lesen und schreiben. Leider aber
manchmal nicht die allerneueste Version, weil Microsoft ständig die
Versionen ändert, um Konkurrenten die Kommunikation mit
Microsoft-Produkten zu erschweren. Dennoch: Man hat heute mehr
Freiheit und muss nicht mehr unbedingt Microsoft Word benutzen. Es
gibt übrigens schon gesamte Unternehmen oder Verwaltungen, die auf
OpenOffice umgestellt haben.
Alte Kirchen und Denkmäler gelten als schützenswerte Kulturgüter. Muss
man in der Neuen Ökonomie die Software als Kulturgut schützen?
Software ist längst nicht mehr nur ein technisches Randphänomen für
einige wenige. Software hat sich zu einem großen Teil bereits in unser
Leben eingebettet. Studien aus den USA zeigen, dass jeder Mensch
täglich 150-mal mit irgendeiner Software interagiert. Das bedeutet,
dass Software einen erheblichen Einfluss auf unser tägliches Leben
nimmt. Der Zugriff auf Software bestimmt deshalb immer mehr unsere
Bildung, Kommunikation und Arbeitswelt. Was können wir lernen, mit wem
können wir reden, welchen Job können wir ausüben?
Gerade deshalb ist der Zugriff auf Software eine kulturelle Frage. Sie
ist eine Kulturtechnik, ein Kulturgut. Und sie bewahrt ähnlich wie
Bibliotheken unser heutiges Wissen. Es steckt ja außerordentlich viel
Wissen in einem Code oder in der Art des Programmierens. Und wie wir
in Bibliotheken das Wissen bewusst bewahren, müssen wir auch bei
Software dafür sorgen, dass das Wissen nicht verloren geht. Auch für
kommende Generationen. Bei proprietärer Software aber wird Wissen
entwickelt und dann weggeworfen. Man sieht es nie wieder, hat keine
Möglichkeiten, daraus zu lernen oder zu schauen, wie war das damals
oder was hat man sich dabei gedacht. Es geht auf diesem Weg ständig
permanent Wissen verloren.
Freie Software will das darin vorhandene Wissen hingegen bewahren. Und
deshalb will die Free Software Foundation Europe Freie Software von
der UNESCO zum Kulturgut erklären lassen.
Freie Software bewahrt dann vor allem auch die kulturhistorische
Entwicklungslinie?
Ja. Sie befindet sich in permanenter Evolution. Ähnlich wie in der
Wissenschaft, wo eine Sache auf der anderen aufbaut. Das Aktuelle
setzt auf die Vergangenheit auf. Viele kleine Schritte führen
irgendwann zum großen Innovationsschritt. Das Modell, jemand sitze im
dunklen Kämmerlein und schreibe fünf Jahre an irgendeiner Software,
ist extrem wirklichkeitsfremd.
Freie Software entwickelt sich immer im permanenten Dialog. Sie
erlaubt ihn nicht nur, sondern fördert ihn geradezu.
Freie Software wird deshalb auch in Gemeinschaften, in so genannten
Entwicklergemeinden konfiguriert. Das bekannteste ist das GNU Business
Network. Wie ist es entstanden und wie funktioniert es?
Die Gemeinschaften entwickeln sich um eine oder mehrere Personen
herum, die eine bestimmte Idee haben und diese umsetzen wollen. Ein
paar Leute fangen also an, für eine Aufgabenstellung etwas konkret zu
tun. Im Englischen nennt man das: Scratch your own itch. Kratze dich,
wo es juckt. Es gibt außerdem eine wachsende Nachfrage nach Lösungen
von außen. Es werden Bedürfnisse formuliert und gefragt, wer das
machen kann. Es gibt also viele Formen des Dialogs, wie ein
Freie-Software-Projekt beginnen kann.
Doch an wen wende ich mich konkret? Wie heißen diese Leute?
Kurz noch einmal: Proprietäre Software ist immer rein
angebotsorientiert. Jemand schreibt ein Programm, dann versucht das
Marketing Kunden zu überzeugen, dass man sie braucht. Bei Freier
Software sagt der Kunde, was er braucht. In diesem Feedback, also was
brauche ich eigentlich, beginnen sich die Dinge zu entwickeln.
Das GNU Business Network ist hierfür eine Vision. Sie ist aber
praktisch noch nicht umgesetzt, weil uns bisher die Ressourcen
fehlten. Es wäre aber eine gewünschte Anlaufstelle. Es soll zum einen
die Unternehmen mit den Entwicklern vernetzen. Und andererseits
Unternehmen untereinander vernetzen, die gleiche Probleme haben, aber
in unterschiedlichen Märkten aktiv sind. Man kann dann intelligenter
und kooperativer zusammenarbeiten, ohne dass einem etwas verloren
geht. Die Anwender wiederum sehen im Netzwerk, wen sie ansprechen
können. Eine beiderseitige Gewinnbeziehung.
Bei diesen Thesen müssen die Monopole doch aufjaulen. Denn Sie
plädieren letztlich für ein One-to-One-Marketing zwischen Problem und
Lösung. Wie reagieren SAP und Microsoft darauf? Konfrontation oder
Kooperation?
Sowohl als auch. Freie Software bedeutet ja auch einen nicht
abschottbaren Markt. Das ist für einen Monopolisten zunächst eine
schreckliche Vorstellung. Microsoft streut deshalb viele
Fehlinformationen über Freie Software, um ihre eigene Stellung nicht
zu schwächen. Es gibt aber auch andere Unternehmen, welche die
Zukunftschancen erkennen. Denn längst wird der größte Umsatz in diesem
Bereich über Service gemacht.
SAP beispielsweise fördert geradezu das Servicemodell. Sie haben ihre
SAP-DB-Datenbank bereits als Freie Software herausgegeben. SAP
überlegt sich, wie sie die Vorteile Freier Software noch besser nutzen
können.
Es ist doch faktisch so, dass eine standardisierte Software nur mehr
selten auf die speziellen Anforderungen eines Unternehmens passt. Es
gibt in der Software-Geschäftswelt kaum ein "one size fits all".
Urheberrechtlich ist Freie Software eher ungewöhnlich. Wer ist der
eigentliche Lizenzgeber?
Derjenige, der das Programm schreibt, hat das Urheberrecht. Im
Zweifelsfall hat eine Firma die Rechte, wenn es in ihrem Auftrag
erstellt wurde. Der Urheber kann es unter einer bestimmten Lizenz
herausgeben und vermarkten. Das Urheberrecht verankert die Lizenz,
aber die Lizenz gibt einem die Freiheiten, die ich oben im
Zusammenhang mit Freier Software aufgeführt habe.
Herr Greve, Sie sind ehrenamtlicher Präsident der Free Software
Foundation Europe. Sieben Tage die Woche unterwegs auf Vorträgen und
Diskussionsveranstaltungen. Viel Ehr, wenig Geld. Warum machen Sie
das?
Ich bin Diplom-Physiker und habe meine Diplomarbeit über
Nanotechnologie geschrieben. Schon vorher habe ich mich sehr mit
Computern beschäftigt. Während des Studiums habe ich für das
Universitätskrankenhaus in Hamburg-Eppendorf ein Programm geschrieben.
Meine ersten bewussten Kontakte mit Freier Software hatte ich Anfang
der 90er Jahre. Mit der Zeit wurde mir klar, dass die Fragen, wie wir
Menschen mit unserem Wissen umgehen und welche Grundregeln für das
Informationszeitalter gelten, von essenzieller Bedeutung sein werden.
Diese Fragen aber werden heute von Vertretern der alten industriellen
Gesellschaft beantwortet. Wir lassen also die Regeln für das Morgen
von den Mächtigen heute aufstellen.
Irgendjemand muss aber diesen Part übernehmen. Mir war schnell klar,
dass irgendjemand nicht existiert. Man tut es also, weil man die
Notwendigkeit erkennt. Da ich mein Leben sinnvoll verbringen möchte,
habe ich mich entschieden, die Sache durchzuziehen.
Die Vertreter des Alten Regimes stellen die Regeln des Neuen Regimes
auf. Welche Rolle spielt die Politik dabei?
Die Politik befindet sich wie immer in einem Meinungskampf.
Demokratisch legitimierte Volksvertreter treffen für ihre Bevölkerung
Entscheidungen, um ihnen im besten Fall eine bessere Zukunft zu
ermöglichen. Leider aber ist es nicht immer klar, was die beste
Zukunft ist. Deshalb befindet sich der Prozess um Freie Software auch
in einem Meinungskampf.
Ein Teil versteht die Chancen Freier Software immer besser. Sehr
viele, die indes einen guten Draht zur Medienindustrie haben, fürchten
sich mehr um das Alte, als sich Gedanken über das Neue zu machen.
Peter Felixberger ist Geschäftsführer und Chefredakteur von changeX.
Kontakt:
Georg C. F. Greve
Chateauneufstraße 10
20535 Hamburg
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