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Re: Weizenbaum: Wir gegen die Gier


From: Ingmar Redel
Subject: Re: Weizenbaum: Wir gegen die Gier
Date: Tue, 25 Mar 2008 17:51:34 +0100
User-agent: Thunderbird 1.5.0.13 (Windows/20070809)

Lieber Bernhard,

Als FSFE versuchen wir nicht zu häufig einfach nur "Kampagnen" zu machen.
Unser Ziel ist, Material und Positionen für eine breitere und langfristigere Aufklärung zu erstellen. Für mich hat "Kampagne" oft den negativen Beigeschmack des Kurzfristigen oder Aktionistischen.

ich denke das hat auch seinen thematischen wie strukturellen Ursprung.

Aufklärungsarbeit ist immer wichtig, aber wenn die Luft brennt, kann man dem nur mit kurzfristigen Kampagnen (was Aktionen, Petitionen und Volksentscheide, aber auch Aufklärung beinhalten kann!) noch rechtzeitig den Riegel vorschieben.

Eine Kampagne kann ja eine defensive Handlung sein (überall brennt es; Ressourcenknappheit) oder eine offensive Handlung sein, also um neue Konzepte zu verbreiten. Eine Kampagne kann aber auch ein breiter Dialog sein.

Allgemein gilt wohl: Wenn man durch aktuelle Probleme nicht verhindert ist, *rechtzeitig* Aufklärung zu betreiben (was auch Kampagnen beinhalten kann) und damit entsprechend freie Ressourcen hat und man die Bevölkerung, wie auch Entscheidungsträger (Politiker), rechtzeitig auf einen guten Weg bringen kann, wird man weniger Aktions reiche Projekte/ Kampagnen benötigen. Aber meisst mangelt es eben an Ressourcen und man tingelt ständig neuen Problemen hinterher. Das ist jedenfalls die Realität jenseits der freien Software und damit die Realität in den meisten Zusammenhängen, in denen ich noch eingebunden bin.

Wenn nun aber die Aufklärung nicht gefruchtet hat - oder eben aus a) Überlastung oder b) Überraschung ob einer neuen politischen Lage oder c) wegen der fehlenden Unterstützer! - nicht rechtzeitig begonnen werden konnte (siehe z.B. Vorratsdatenspeicherung; wir sind viel zu spät gekommen), kann man das Ruder statt durch langfristige Kampagnen (Aufklärungsarbeit) nur noch durch kurzfristige Kampagnen herumreissen. Hier müssen dann innerhalb kürzester Zeit immens viele Menschen gewonnen werden, die an öffentlichkeitswirksamen Aktionen, Petitionen, Klagen usw. teilhaben oder es muss noch schnell erfolgreiche Lobbyarbeit geleistet werden (was auch nur geht, wenn man renomiert ist oder viele Menschen hinter sich weiss).

Ich gebe dir also ganz recht: ich mag diesen oft aktionistischen, defensiven Weg, dieses ständige "hinterherrennen" auch nicht. Mir wäre es lieb, wenn die Menschen sich gemeinsam um alle wichtigen Themen kümmern würden. Dann würde ein permanenter Dialog um die Themen der Gesellschaft ablaufen und es würden gemeinsam Entscheidungen getroffen. Aber so ist es eben heute nicht.

Und darum rennen wir oft den Geschehnissen hinterher. Aufklärung und Kampagnen für direkte Demokratie könnten dem eine gewisse Abhilfe schaffen, um mehr Partizipation der Bevölkerung zu erreichen. Ein allgemeines Grundeinkommen könnte Ressourcen freilegen für Menschen, die sich für die Gesellschaft engagieren wollen, sonst jedoch durch einen 40 Stunden Job (z.B. für proprietäre Softwarekonzerne ;) und Familie völlig gebunden sind.

Kurz: es mangelt überall an Ressourcen. Wir tingeln den Geschehnissen nicht hinterher, weil es uns Spass macht oder weil wir scharf auf "aktionistisches" sind, sondern weil die Umstände entsprechend sind.

Ich persönlich würde mir z.B. wünschen, dass wir weder Kampagnen (in welcher Form auch immer) noch NGOs in der Zukunft bräuchten. Das ist ja alles nur eine Art "Kit", um systemische Fehler zu beheben. Wenn es optimal laufen würde in unserer Gesellschaft, bräuchten wir all das nicht. Ich glaube jedoch nicht, dass wir jemals auf absehbare Zeit soweit kommen werden.


Ich denke, wir brauchen dringen eine breite, Themen übergreifende
Partizipation der Bürgergesellschaft.

In unser Demokratie in Deutschland wird das beispielsweise durch die Parteien geleistet. Nur: Dort und bei den Wählern scheinen sich nicht alle Themen durchzusetzen. Die Frage ist also: Wie die Wähler und Wählerinnen für die Themen begeistern?

Wie ich schon oben schrieb: durch Aufkläung und Kampagnen für direkte Demokratie und durch mehr UnterstützerInnen für einzelne Themen. Es geht ja immer ersteinmal darum Menschen zu gewinnen. Aufklärung ist auch eine Form der Kampagnenführung. Und wenn man sie gewonnen und mit guten Argumenten überzeugt hat, muss man ihnen eine Ausdrucksform ihres Willens geben, jenseits von 2 Kreutzchen alle 4 Jahre.

Solange wir also die Menschen in der Masse nicht erreichen können und sie keinen politischen Willen ausdrücken können (jenseits einzelner Parteien und Parteienhirarchien), werden wir auch die Umstände nicht verändern können. Und hier schliesst sich wieder der Kreis: denn wie kommen wir dort hin? Durch kurz und langfristige Kampagnen, weil uns andere Mittel aktuell nicht gegeben sind.


So bleibt am Ende "jedes Grüppchen" unter sich, nimmt nur an eigenen
Kampagnen teil, sieht nicht die Gesellschaft als Ganzes und ist oft
blind für die anderen dringend nötigen Veränderungsprozesse. Und so
kämpfen dann immer diese kleinen Grüppchen gegen die grossen Mühlen,
ohne das sie realisieren, dass sie zusammen, wenn sie sich gegenseitig
öffnen würden, das Ganze realisieren würden, viel stärker wären.

Das mit dem Zusammen handeln funktioniert nur, wenn auch eine gemeinsame Überzeugung da ist. Mit Aufrufen kommen wir der Situation jedoch nicht näher.
Vermutlich auch nicht mit einem "großen" Dialog, weil es dann so Viel gäbe,
dass alles wieder untergeht.

Es geht wie geschrieben um die Summe der Teilhabe insgesamt. Es geht nicht darum, dass jeder jedes Thema gleich wie andere bewerten soll. Dies wird es nie geben. Ab die Gesamtsumme der Teilhabe in allen Bereichen muss steigen.


Es geht dabei um grundlegende ethische Werte und die Verkopplung von
Zusammenhängen, die in einer Gesellschaft letztlich NICHT voneinander
getrennt werden können. Auch wenn soziale, ökologische,
datenschutztechnische, menschenrechtliche oder belange des freien Wissen
  usw. jeweils ein wichtiges Thema für sich sind, kann alles ohne das
andere NICHT sein.

Alles ist verbunden - das ist mir zu pauschal!

Es beschreibt nur den Fakt, dass eine Gesellschaft aus vielen thematisch wichtigen Bereichen besteht, die es gemeinsam zu regeln und organisieren gilt. Wenn wir die Menschen in der Breite nicht für alle wichtige Themen erreichen, wird immer eine oder mehrere wichtige Säulen brechen und damit die gesamte Statik der Gesellschaft gefährden.


Was eine "wünschenswerte" Gesellschaft ist, muss halt in vielen Punkten
genauer gefasst werden. Ich vermute, dass sich die Gruppen darin eben nicht so einig sind, wie es bei Dir zu sein scheint.

Das ist sicher richtig. Mir geht es deswegen auch nicht darum eine vorgefertigte Meinung zu verbreiten oder den Versuch zu unternehmen, alles in einen Topf zu werfen. Mir geht es eher allgemein um mehr Teilhabe an wichtigen gesellschaftlichen Themen und darum Synergieeffekte durch neue strukturelle Lösungen in der NGO Arbeit zu finden, direkte Demokratie zu unterstützen sowie eben den Blick über den eigenen thematischen Tellerrand hinaus zu schärfen.


Wenn Du mehr Leuten funktionales oder vernetztes Denken beibringen möchtest, .. fände ich gut.

:)


Ich empfehle zu dem Thema übrigens "Die Logik des Misslingens" von
Dietrich Dörner.
http://www.bookzilla.de/shop/action/productDetails/2076031/dietrich_doerner_die_logik_des_misslingens_3499615789.html

Hört sich interessant an und werde ich in meiner nächsten Bücherbestellung berücksichtigen :) Leider habe ich immer so wenig Zeit zum Bücher-Lesen :(

Alles Liebe
Ingmar




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